Schon bevor die Bankenkrise zum beherrschenden Thema an den Kapitalmärkten wurde, blickten Investoren sorgenvoll auf die steigenden Leitzinsen und die gefährdete Konjunktur. Steigende (Leit-)Zinsen und geringere Unternehmensgewinne nehmen die Aktienkurse von zwei Seiten in die Zange. Aus der Höhe der Zinsen ergeben sich die Faktoren zur angemessenen Bewertung von Aktien. Mit höheren Zinsen sinken die angemessenen Faktoren. Die Unternehmensgewinne selbst sind der entscheidende zweite Faktor. Vielen Unternehmen gelingt es in diesem Jahr wohl nicht, die Gewinne aus dem Vorjahr nochmals zu übertreffen. Die wegweisende Rendite von US-Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit stieg im Februar von 3,4 auf 4,0 Prozent und markierte mit 4,09 Prozent Anfang März den höchsten Stand seit November. Grund für diesen Zinsanstieg war die Gemengelage aus einer hartnäckig höheren Inflation bei einem sehr robusten Arbeitsmarkt in den USA. In einem Umfeld, in dem nahezu Vollbeschäftigung herrscht und die Löhne steigen, dürfte der Kampf gegen steigende Preise länger dauern und höhere Zinsen erfordern. Tatsächlich erklärte der Präsident der US-Notenbank, Jerome Powell, nach einer Verringerung des Zinserhöhungstempos seien künftig wieder größere Zinsschritte möglich, um die hohe Inflation in den Griff zu bekommen.
Mit dem Beginn der Bankenkrise kam es bis Mitte März zu einem Rückgang der Marktzinsen. So kehrte die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen in die Bandbreite von 3,4 bis 3,6 Prozent zurück. Weil die raschen und in Summe hohen Leitzinserhöhungen als eine Ursache der Bankenkrise gelten, rechnet der Markt damit, dass die großen Notenbanken nun das Tempo ihrer Leitzinserhöhungen zumindest verlangsamen, um die Stabilität des Finanzsystems nicht zusätzlich zu gefährden. Bislang haben weder die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) noch die Europäische Zentralbank (EZB) auf weitere Leitzinserhöhungen verzichtet. Die EZB erhöhte ihre Leitzinsen Mitte März um je 50 Basispunkte. Der Hauptrefinanzierungssatz stieg damit von 3,0 auf 3,5 Prozent. Er gilt als wichtigster Euro-Leitzins. Zum Hauptrefinanzierungssatz können Geschäftsbanken den größeren Teil ihres Mittelbedarfs bei der Zentralbank refinanzieren. Der Spitzenrefinanzierungssatz bleibt mit jetzt 3,75 Prozent ein Viertelprozentpunkt höher. Der Einlagenzinssatz der EZB, mit dem sie Guthaben der Geschäftsbanken verzinst, wurde von 2,5 auf 3,0 Prozent angehoben. |
Auch die US-Notenbank Fed hob ihre Leitzinsen in der zweiten Märzhälfte weiter an. Sie hatte ihre „Schrittweite“ Anfang Februar auf ein Viertel Prozentpunkt verringert. Jetzt, sieben Wochen nach der vorausgegangenen Zinserhöhung, erfolgte erneut eine Anhebung um 0,25 Prozentpunkte. Die Bandbreite der Fed Funds Rate beträgt damit jetzt 4,75 bis 5,00 Prozent. Angesichts der Sorgen um die Stabilität des Finanzsystems erwarten viele Marktteilnehmer, dass die Notenbanken im Jahresverlauf bei weiteren Leitzinserhöhungen vorsichtiger werden. Allerdings betonten beide Notenbanken, dass sie das Ziel der Inflationsbekämpfung nicht aufgegeben werden. Das Bankensystem sei stabil und die Versorgung der Kreditinstitute mit Liquidität durch zusätzliche Maßnahmen gesichert worden. So erhöhten auch andere Notenbanken ihre Leitzinsen zur Inflationsbekämpfung weiter: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) setzte ihren Leitzins einen halben Prozentpunkt höher auf 1,5 Prozent und die Bank of England ihren Leitzins um einen Viertelprozentpunkt auf 4,25 Prozent.
Dennoch beendete die Bankenkrise in den USA die Existenz mehrerer kleinerer Banken und in Europa einer der beiden schweizerischen Großbanken: Die Credit Suisse wird von ihrem Konkurrenten UBS übernommen. Aus Sorge vor einer Ausbreitung der Bankenkrise zogen sich Anleger auch aus anderen Bankaktien zurück, was höhere Kursverluste auslöste. Weil die Bankenkrise die Kreditbedingungen weiter verschärfen dürfte, wird von ihr eine dämpfende Wirkung auf die Konjunktur erwartet. Deshalb verzeichneten auch Aktien aus konjunkturempfindlichen Sektoren spürbare Kursverluste, beispielsweise Aktien aus der Rohstoffbranche. Der Dow Jones Industrial Average rutschte im März auf den tiefsten Stand seit Oktober. Der Euro-STOXX-50 fiel zeitweilig auf die Marke von 4.000 Punkten zurück, nachdem Anfang März noch ein neues Jahreshoch bei 4.324 Zählern erreicht worden war. Von der Hoffnung auf eine weniger rigide Geldpolitik profitierten Technologieaktien. So legte der Nasdaq-100-Index im Verlauf des März zu und näherte sich seinem Anfang Februar markierten Jahreshoch. |
Im März wurde eine neue Bankenkrise zum beherrschenden Thema an den Kapitalmärkten. Ihr fielen in den USA einige kleinere Banken und in Europa die schweizerische Großbank Credit Suisse zum Opfer. Die Angst vor eine Eskalation belastete die Aktienmärkte insgesamt, insbesondere aber den Finanz- und Bankensektor. Der Ausgangspunkt dieser Bankenkrise lag in Kalifornien. Dass zunächst die Silvergate Bank ins Straucheln geriet, mag inzwischen fast übersehen werden. Die Bank war eng mit der Krypto-Branche verbunden und wickelte für diese über ihr Silvergate Exchange Network SEN Zahlungen ab. Der Zusammenbruch von FTX, einer der weltgrößten Handelsplattformen für Kryptowährungen im vergangenen November, wurde der Bank zum Verhängnis. Hunderte von Millionen Dollar an Forderungen erwiesen sich als uneinbringlich. Die Silvergate Bank meldete darauf für das vierte Quartal einen Verlust einer Milliarde Dollar. Anfang März wurde die Auflösung der Bank bekannt gegeben.
Auch die zweite kollabierte amerikanische Regionalbank kommt aus Kalifornien. Die Silicon Valley Bank (SVB) hatte in den Jahren zuvor ein schnelles Wachstum verzeichnet und eine große Anzahl von Start-ups und Technologieunternehmen unterstützt. Sie galt als eine der wenigen Banken, die sich auf deren Bedürfnisse spezialisiert hatte und genoss in der Branche einen guten Ruf. Die Bank hatte überflüssiges Kapital in US-Staatsanleihen investiert, die aber wegen des Zinsanstiegs hohe Kursverluste erlitten. Als die SVB-Kunden begannen, mehr Geld von der Bank abzuziehen als neu dort anzulegen, musste die Bank die Anleihen verkaufen – und damit hohe Buchverluste realisieren. Den Rest erledigte ein klassischer Bank Run. Bankenkrisen gibt es immer wieder. Es liegt in der Natur einer Bank, dass sie auf das Vertrauen derer angewiesen ist, deren Einlagen sie als Kredite an andere vergibt. Dabei ist die sogenannte Fristentransformation, also kurzfristige Einlagen als längerfristige Kredite zu vergeben, eine der volkswirtschaftlichen Aufgaben von Banken. Wenn die Kunden aber das Vertrauen in die finanzielle Stabilität einer Bank verlieren, beispielsweise durch Nachrichten oder nur Gerüchte über finanzielle Probleme der Bank oder eine bevorstehende Insolvenz, ziehen sie ihre Einlagen ab. Geschieht dies in größerem Umfang, spricht man von einem Bank Run. Durch den massenhaften Abzug von Geldern durch die Kunden einer Bank kann diese möglicherweise nicht alle Abhebungen erfüllen, da sie nicht über ausreichende liquide Mittel verfügt. Die Bank wird somit insolvent.
In der Geschichte gab es viele Bank Runs. Schon im Sommer 1857 gilt ein Bank Run, nämlich auf die Bank Ohio Life Insurance Company in New York, als Auslöser einer der ersten globalen Wirtschaftskrisen. Auch der Weltwirtschaftskrise ab 1929 mit dem berühmten Crash der Wall Street ging ein Bank Run voraus. Bei der Finanzkrise in Folge der Hypothekenkrise in den USA war die Northern Rock Bank im Jahr 2007 eine der ersten Banken, die zusammenbrachen. Die Pleite von Lehmann Brothers 2008 galt schließlich als Höhepunkt der Krise. Andere Großbanken wurden durch Notübernahmen gerettet. Dass dies im Fall von Lehmann Brothers nicht gelang, verstärkte damals die Schockwellen.
15 Jahre später galt nun die seit Jahren von Skandalen und geschäftlichen Misserfolgen geschwächte Schweizer Großbank Credit Suisse (CS) als gefährdet. Nachdem der Vorsitzende der Saudi National Bank, mit knapp 10 Prozent der größte Aktionär der CS, die offenbar unbedachte Aussage gemacht hatte, der CS unter keinen Umständen weiteres Kapital zur Verfügung zu stellen, schwand das Vertrauen in die Traditionsbank rasch. Um eine unkontrollierte Ausbreitung der Bankenkrise zu vermeiden, wurde daraufhin die Übernahme der CS durch ihren schweizerischen Konkurrenten UBS im Eiltempo vollzogen. Die Großbank UBS übernimmt die angeschlagene Credit Suisse für 0,76 Franken je Aktie, insgesamt rund drei Milliarden Schweizer Franken. Der Wert der CS ist damit innerhalb von zwei Jahren um mehr als 90 Prozent gefallen.
Die Bankenkrise war sicherlich das wichtigste Thema für die Börsen im März. Ob das für den April und darüber hinaus gilt, bleibt abzuwarten. Auch über die Auswirkungen auf Zinsentwicklung und Konjunktur darf spekuliert werden. Tendenziell verschlechtert eine Bankenkrise die Kreditversorgung der Wirtschaft, was die Konjunktur bremst. Andererseits sollen die Leitzinserhöhungen der Notenbanken in die gleiche Richtung wirken, um die Inflation zu bekämpfen. Deshalb hoffen Investoren jetzt, die Bankenkrise möge die Zinserhöhungspolitik der Notenbanken beenden. Gleich vier westliche Notenbanken, die US-Fed, die Europäische Zentralbank, die Bank of England und die Schweizerische Nationalbank, signalisierten aber jüngst mit weiteren Leitzinserhöhungen, sich nicht beirren zu lassen. Flankierend wurden Maßnahmen zur Liquiditätsversorgung der Geschäftsbanken ergriffen. Die Chancen, dass es gelingt, die Bankenkrise einzudämmen und die Realwirtschaft nicht zu beschädigen, stehen nicht schlecht. Schließlich gibt es in der Wirtschaftsgeschichte genug abschreckende Beispiele, wenn eine solche Krise weiter eskaliert ist.
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